Stefanie Pluta – Appeal/Momentum, 2024

                                   
Eröff­nung: 02.05.2024; 19 Uhr

Eröff­nung: 02.05.2024, 19 Uhr

Laufzeit: 02.05.– 30.05.2024

Zusätz­lich wird es einen gemein­samen Spazier­gang mit Akteur:innen der Initia­tive Archiv­kom­plex geben, die Infos hierzu folgen in Kürze.

Wenn Gefahr droht, dann spüren Tiere das nahende Unglück oftmals früher als Menschen. Kurz vor einem Erdbeben sind sie es, die ihre gewohnten Wege verlassen, fliehen, kreischen, sich vollkommen anders verhalten als sonst. Dieses Bild von wegflie­genden Vögeln, die den Ort einer bevor­ste­henden Katastrophe meiden, hat die Künst­lerin Stefanie Pluta dazu bewegt, an der Einsturz­stelle des Kölner Stadt­ar­chivs vermeint­liche Vogel­häus­chen aufzu­hängen. Das war 2014, 5 Jahre nach dem Einsturz.

Seither ist an dem Ort viel passiert und gleich­zeitig kaum etwas. Es ist ein Ort und ein Nicht-Ort zugleich. Einer­seits stand hier etwas buchstäb­lich Histo­ri­sches, das von einem Moment auf den anderen (wie) vom Erdboden verschluckt wurde. Anderer­seits ist seitdem etwas da, das sich verän­dert, bewegt, das mehr ist als eine Baugrube, und gleich­zeitig genau das. Ein Loch. Durch­drungen und umgeben von Gerüsten, Bauzäunen, Rohren, Kameras, Menschen, einem Kran, Wasser, Wohnhäu­sern, einer Schule, Ikarus.

Es ist diese wahrzu­neh­mende dauer­hafte Tempo­ra­lität des Ortes, das sich scheinbar nicht verän­dernde Tempo­räre, das bleibende Provi­so­rium, das die Künst­lerin an der Stelle, wo einst das Histo­ri­sche Archiv der Stadt Köln stand, inter­es­siert. Seitdem das Archiv im März 2009 einge­stürzt ist, beschäf­tigt sie sich mit dem Ort und hat ihn immer wieder in unter­schied­li­chen Medien dokumen­tiert, meist über die Fotografie, aber auch mit kurzen Videos. Dies kann als eine künst­le­ri­sche Form der Aktivie­rung des öffent­li­chen Ortes gelesen werden, der wenig sicht­bare Bewegung mit sich bringt und für viele eher mit Verlust und Still­stand verbunden ist.

Für die aktuelle Ausstel­lung im Matjö bringt Pluta einen Teil ihrer Arbeit von 2014, die der Ausstel­lung ihren Titel verleiht, zurück in die Nähe der ursprüng­li­chen Instal­la­tion der vermeint­li­chen Vogel­häuser. Postkarten, die zum Mitnehmen in einem Ständer in der Ausstel­lung bereit­stehen, dokumen­tieren die Entwick­lung der mit einem Loch verse­henen Holzkästen, die an Bauzäunen und Straßen­la­ternen hingen und dort – den Flecken nach zu urteilen – über Jahre der Witte­rung ausge­setzt waren. Hinzu­kommen schwarz-weiße, gerahmte Fotogra­fien und Videos, abgespielt auf Handy­dis­plays, die den Ort des Gesche­hens zeigen bezie­hungs­weise das, was seit dem Einsturz an der Stelle des Archivs und seiner unmit­tel­baren Umgebung entstand.

Während man heute kaum mehr Einblick auf die Einsturz­stelle hat, weil diese mittler­weile komplett einge­zäunt und abgeschirmt ist, hat Pluta über den Zeitraum von 10 Jahren Bilder einge­fangen, die den Ort in unter­schied­li­chen Zuständen und – wenn man so will – Bewegungen zeigen. Hier werden sowohl Bauar­beiten am Loch als auch andere Prozesse sichtbar, die nicht nur durch Menschen, sondern durch natür­liche und mecha­ni­sche Einflüsse in Gang gesetzt wurden: Algen­tep­piche durch­ziehen die Baugrube, eine Verei­sungs­an­lage schnauft vor sich hin und pustet Rauch in die Luft, Wasser­rohre schlän­geln sich vom Loch hinaus an den Wohnhäu­sern entlang in die Stadt, während der Ikarus an der Fassade des benach­barten Gymna­siums über allem schwebt.

In ihren aktuellen Arbeiten hat die Künst­lerin ihre frühe Werkserie erwei­tert durch Fotogra­fien und Videos, welche einzelne der mühselig aus der Baugrube gebor­genen Archiv­güter sowie Trümmer­stücke des alten Baus zeigen. Diese liegen heute im neu gebauten Stadt­ar­chiv und lassen sich hier (wieder) einsehen. Ein absurder Gedanke kommt mir: Das Archiv hat viele seiner Bestände im Wasser, unter Erde, Sand und Kieseln verloren und dennoch ist das Archiv mit dem Einsturz auch angewachsen. Es verwahrt heute unter anderem die Zeugnisse des Einsturzes: Stein­bro­cken, aus denen Stahl­streben ragen, die aussehen wie riesige Fühler. Sie sind alles andere als tot, sie bewegen sich, wenn man den Stein anhebt oder zur Seite schiebt. Dann entwi­ckeln sie ein Eigen­leben. Sie sind unmit­tel­bare Zeugen der Ka-tastrophe, zeigen die Kräfte, die auf sie einwirkten, indem sie all ihre Glied­maßen von sich strecken und die Verbände aus Luftpols­ter­folie zur Schau stellen. Meist sind es feste, große Stein­körper, an denen dünne Stahl­glieder hängen und zittern. So wirken die vibrie­renden Trümmer­stücke wie von einem anderen Planeten. Wer sendet hier welche Botschaft? Welche Erinne­rungen (über)tragen die Materia­lien selbst?

Pluta inter­es­siert genau diese Spannung zwischen der vermeint­lich toten Materie und dem leben­digen Material. Neben den Postkarten, Fotogra­fien und Filmen hat sie in der Ausstel­lung kleine bunte Seedballs verteilt. Diese kann man, wie schon die Karten, mitnehmen und um die Ecke am Ort des Einsturzes auslegen oder einfach über die hohe Mauer ins Loch werfen – so bleibt Hoffnung, dass sich hier auch weiter etwas bewegt und dass zumin­dest Pflanzen und Insekten an den Ort kommen, bis sich das Loch wieder (anders) füllt.

Kathrin Barutzki, 29.4.2024